Wie man eine schwierige Zielgruppe erreicht

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Es gibt Menschen, die aus subjektiver Sicht größere Probleme als den Klimaschutz haben, zum Beispiel kein Geld und keinen Job. Doch Klimaschutz muss nicht immer etwas kosten, sondern kann auch dazu beitragen, dass am Monatsende mehr Geld im Börserl bleibt. Das zu vermitteln versucht die Klima- und Energie-Modellregion (KEM) Wiener Neustadt mit ihrem Leitprojekt „Klimaschutz gibt Autonomie!“ Am 8. April startete der erste Workshop für 12 TeilnehmerInnen eines Arbeitsmarkt-Trainings.

„Klimaschutz gibt Autonomie!“ heißt ein neues vom Klima- und Energiefonds finanziertes Leitprojekt. Es wurde in der KEM Wiener Neustadt in direkter Kooperation mit dem Umweltbildungszentrum Wiener Neustadt (kultur.GUT.natur) und in Abstimmung mit dem Verein phönix Wiener Neustadt, einem sozialökonomischen Betrieb, entwickelt und läuft nun an. Nach der Analyse von nationalen und internationalen Expertisen zu Klimaschutz und Umweltbildung für die Zielgruppe sowie ExpertInneninterviews verlässt das Projekt nun den Schreibtisch. In fünf Workshops zwischen April und September steht für 12 bis 15 TeilnehmerInnen eines Trainingsprogramms zur Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt der ganz alltägliche Klimaschutz auf dem Programm.

Bewusstseinsbildung. „Es gibt viele Mythen in der Bevölkerung, zum Beispiel, dass Biolebensmittel teurer sind“, erklärt Elke Szalai vom Umweltbildungszentrum Wiener Neustadt. „Wenn man diese aber mit Fertiggerichten vergleicht, kommt man drauf, dass man, wenn man mit Bioprodukten selbst kocht, sogar Geld sparen kann und gleichzeitig auch der Umwelt und der eigenen Gesundheit etwas Gutes tut.“ Kommt ein Teil der Biolebensmittel aus dem Garten oder vom Balkon, geht die Rechnung noch schneller auf.

Die Teilnahme an den Workshops ist freiwillig. Sie können am sogenannten Bildungsfreitag alternativ zu anderen Kursen des AMS besucht werden. „Wir möchten in den Workshops niemanden bevormunden, sondern Möglichkeiten aufzeigen“, so Szalai. Dass sowohl das Umweltbildungszentrum Wiener Neustadt als auch phönix Wiener Neustadt über einen eigenen Garten verfügen, in dem schon saftige Kräuter sprießen, ist der praxisnahen Vermittlung gesunder biologischer und klimaschonender Ernährung durchaus dienlich.

Nachhaltiges Handeln. Auch alte Hausmittel werden vorgestellt, zum Beispiel selbst hergestellter Hustensaft oder Reinigungsmittel aus Essig. Daneben soll das Bewusstsein der TeilnehmerInnen in Sachen Einkaufsverhalten geschärft werden. KEM-Manager Martin Hesik, gleichzeitig Wiener Neustadts Energiebeauftragter, wird den TeilnehmerInnen zudem in einem gemeinsamen Workshop weitere nachhaltige Angebote der Stadt näher bringen – zum Beispiel LaRa, das Elektro-Lastenrad der KEM Wiener Neustadt. Dieses kann online gebucht und gratis ausgeliehen werden.

„Klimaschonendes Verhalten und Konsum werden noch immer oft als Luxus und Selbstverwirklichungs-Spielwiese für bessergestellte Bevölkerungsschichten angesehen. Gleichzeitig richten sich Umweltbildungsangebote fast ausnahmslos an diese Schichten“, erläutert Hesik die Hintergründe des Leitprojekts. „Das von kultur.GUT.natur entwickelte Pilotprojekt will hier neue Wege gehen:  Klimaschutz, vermittelt auf Augenhöhe, der praktische Nutzen im Vordergrund, ein Mehr an Selbstbestimmung und persönlicher Unabhängigkeit als Credo, das Ganze orientiert an der Alltagswelt einkommensschwacher Personen. Die Jury des Klima- und Energiefonds hat bei der Förderungszusage die Brisanz und Notwendigkeit für diesen neuen Weg erkannt.“

Selbst ausprobieren. Natürlich wird bei den Workshops nicht nur geredet, sondern vor allem angepackt: Beide Gärten stehen den TeilnehmerInnen zum Kennenlernen von Gemüse und Kräutern sowie zum Selbstanpflanzen und vor allem Ernten zur Verfügung. Auch eine Tour mit Leihrädern und dem öffentlichen Verkehr in Wiener Neustadt steht auf dem Programm. „Mit diesem Leitprojekt gelingt es, eine Zielgruppe zu erreichen, die sich in der Regel nicht oder kaum für den Klimaschutz interessiert“, erklärt Christoph Wolfsegger, Programm- und Researchmanager im Klima- und Energiefonds. „Man kann davon ausgehen, dass sich dies ändert, wenn die TeilnehmerInnen erleben, wie gut selbst produziertes Kräuter-Pesto schmeckt, wie viel Spaß Radfahren machen kann und wie viel Geld man durch den angewandten Klimaschutz einsparen kann.“

Fachleute des Departments Soziales und Arbeit der Fachhochschule Burgenland begleiten und evaluieren das Leitprojekt sozialwissenschaftlich. Die Ergebnisse von „Klimaschutz gibt Autonomie!“ werden dokumentiert und im November im Rahmen einer eigenen Veranstaltung präsentiert. Ziel ist es, die Erfahrungen so aufzubereiten, dass andere Klima- und Energie-Modellregionen darauf aufsetzen können und ähnliche Projekte entwickeln.