„Wieder einmal zu früh gekommen“

Es gibt viele Vernunftgründe, um aufs Fahrrad zu steigen. Die Klima- und Energie-Modellregion (KEM) Wiener Neustadt wollte ihre Bevölkerung jedoch auf der Gefühlsebene erwischen und startete die Kampagne wn.radelt. Ein gutes Dutzend witziger und teilweise provokanter Werbesujets sorgte für Diskussionen und breites Medienecho.

„Dein Fitnessstudio“ stand auf Plakaten, City Lights und Rolling Boards zu lesen. Und es waren nicht die Bremsbacken des Fahrrads, die als Hingucker fungierten. Denn der üppige Herr am Fahrrad trägt einen roten Tanga. Auf einem anderen Plakat lehnt der junge Mann, der „wieder einmal zu früh gekommen“ ist, entspannt an seinem Fahrrad. Und der zu Sturz gekommene Mountainbiker weiß: „Schmerz geht – Freude bleibt“.

 

Hochgesteckte Ziele. „Wiener Neustadt soll Amsterdam werden“, sagt Martin Hesik, Energiebeauftragter von Wiener Neustadt und KEM-Manager, und meint damit nicht eine Cannabis-Freigabe, sondern den hohen Radverkehrsanteil der niederländischen Hauptstadt von unglaublichen 30 Prozent. Denn die Voraussetzungen dafür sind günstig. 300 engagierte BürgerInnen haben sich im Verein „Radlobby Wiener Neustadt“ zusammengeschlossen, das Stadtgebiet ist kompakt und „bretteleben“. Und vielleicht das Allerwichtigste: Stadt, KEM und RadlerInnen ziehen an einem Strang.

 

Bemerkenswert ist nicht nur die hohe Qualität der Werbekampagne, sondern auch, dass diese in Eigenregie – also ohne Werbeagentur – konzipiert und umgesetzt wurde. So konnten die Kosten – inklusive eines Aktionstages – auf knapp 20.000 Euro netto begrenzt werden. „Wie sehr die Kampagne eingeschlagen hat, kann man auch am riesigen Medienecho ermessen“, gratuliert Christoph Wolfsegger, Programm- und Researchmanager im Klima- und Energiefonds. „Es kommt nicht sehr häufig vor, dass Zeitungen Werbesujets kostenlos abdrucken. Der Kampagne wn.radelt ist das gelungen.“

 

Zielgruppengenau. Parallel zur Plakatkampagne wurde der oder die wn.radlerIn des Monats gekürt und sowohl im Amtsblatt Wiener Neustadt als auch in der NÖN-Wiener Neustadt veröffentlicht. Anhand dieser Testimonials konnte auf die verschiedenen Zielgruppen eingegangen werden – von jung bis alt und von sportlich bis bequem. Auch  E-Bikes und Lastenfahrräder wurden so thematisiert.

 

Die jüngsten RadlerInnen sprach man in 20 Veranstaltungen direkt an. In Zusammenarbeit mit dem Klimabündnis NÖ kam die „Klimafee“ zu Besuch in Kindergärten. In den Volksschulen fanden Mobilitätsworkshops statt. 3.000 Stück eines neuen Ratgebers der Radlobby Wiener Neustadt zur Straßenverkehrsordnung für Kinder und Jugendliche wurden in den Pflichtschulen der Stadt verteilt.

 

Kurze Wege. Während sich so manche Werbebotschaft als heiße Luft erweist, verfügt die Kampagne der KEM Wiener Neustadt über Substanz. Denn die Stadtgemeinde und der ehrenamtliche Einsatz der Radlobby haben schon vor der Kampagne für so manche Erleichterung im Radverkehr gesorgt. So gilt auf 90 Prozent des Straßennetzes Tempo 30. 83 Sackgassen wurden für RadlerInnen geöffnet und eine Reihe von Einbahnen sind mit dem Rad in beiden Richtungen nutzbar. Im Zuge der Kampagne erhielten sechs Fahrrad-Hauptrouten der Stadt ein neues Leitsystem, bestehend aus 400 Wegweisern. Nach einer Pilotphase darf man in Wiener Neustadt nun auch in zwei Fußgängerzonen radeln.

 

Seit vielen Jahren liegt der Radverkehrsanteil in Wiener Neustadt bei zehn Prozent. Bis zu den 30 Prozent von Amsterdam ist es noch ein weiter Weg. Doch man darf gespannt auf die nächste Erhebung des sogenannten Modal Split, also der Verkehrsmittelanteile, warten. Denn in Wiener Neustadt ist das Fahrrad nun „deine Überholspur“, „dein Parkpickerl“, „dein Kurzurlaub“, „deine Gehhilfe“ – und wie anfangs erwähnt, auch „dein Fitnessstudio“.


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