Vom geteilten Leid zum gemeinsamen Erfolg

1 Carsharing

Interview. Am 1. Juli 2021 startete carsharing Österreich als Interessensvertretung für Fuhrparkbetreiber, die sich dem Carsharing verschrieben haben. Der Zusammenschluss ermöglicht es KundInnen, E-Autos bei neun Anbietern mit 90 Standorten zu einem einheitlichen Tarif auszuleihen.

Zahlreiche Klima- und Energie-Modellregionen (KEM) betreiben E-Carsharing. Das Netzwerk carsharing Österreich bietet ihnen nun erstmals eine Plattform zur Kooperation nach innen wie nach außen. Nun können die Betreiber ihren KundInnen nicht nur ein lokales oder regionales Angebot offerieren, sondern über die eigene Buchungsplattform auch E-Autos für den Urlaub oder für Geschäftsreisen anbieten.

Lob und Anerkennung. „Der Umstieg auf Elektromobilität und Sharing-Modelle sind besonders wichtig, um die Klimaziele zu erreichen“, betont Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds. „carsharing Österreich ist daher ein Meilenstein für die Mobilitätswende.“ Das sieht offenbar auch der VCÖ so und verlieh carsharing Österreich eine Auszeichnung als vorbildliches Projekt beim VCÖ-Mobilitätspreis Niederösterreich.

Wie es dazu kam, erklären Matthias Zawichowski und Christian Wolbring. Zawichowski ist KEM-Manager der Region Elsbeere Wienerwald, Obmann des E-Carsharing-Anbieters fahrvergnügen.at und nun auch Vorsitzender von carsharing Österreich. Wolbring betreibt in Kremsmünster ein technisches Büro namens Business & Engineering und war bis vor kurzem KEM-Manager im Traunviertler Alpenvorland. Er gab – ohne es damals zu wissen – den Startschuss zu carsharing Österreich.

 

KEM-Newsletter: Wie kam es zur Gründung von carsharing Österreich?

Christian Wolbring: Vor rund zwei Jahren hatte ich ein kostenintensives Problem mit jener Firma, deren Soft- und Hardware wir damals in der KEM für unser E-Carsharing einsetzten. Daraufhin griff ich zum Telefonhörer, um herauszufinden, ob es nur mir so ginge. Dem war nicht so. Und so versuchte ich, zusammen mit Alexander Simader und Matthias Zawichowski eine Lösung zu finden.
Vor etwa eineinhalb Jahren trafen wir uns mit weiteren betroffenen E-Carsharing-Anbietern, um ein gemeinsames Anforderungsprofil für eine Neuausschreibung der Hard- und Software zu erstellen. Einerseits wollten wir ein System, bei dem weniger Arbeit für die Abrechnung anfällt, anderseits entstand eine zündende Idee: Es wäre doch cool, wenn wir regionsübergreifend buchen könnten.

Matthias Zawichowski: Im letzten Augenblick ist dann FAMILY OF POWER, ein vor allem in Kärnten und in Graz aktiver E-Carsharing-Anbieter rund um den langjährigen Geschäftsführer von willhaben.at, Gerd-Ingo Janitschek, zu uns gestoßen. Sein Unternehmen hatte bereits eine selbst programmierte Software im Einsatz, die alle unsere Anforderungen erfüllt und neue Möglichkeiten eröffnet. Dank Förderungen aus Oberösterreich und Niederösterreich konnten wir Schnittstellen und das Roaming – also die Abrechnung zwischen den Anbietern – entwickeln, und im April 2020 war die Umstellung auf die neue Soft- und Hardware abgeschlossen. Im Juli 2020  gründeten wir dann den Verein carsharing Österreich.

 

Seit 1. Juli dieses Jahres können sich nun die KundInnen der Gründungsmitglieder* auch E-Autos der anderen Anbieter ausborgen. Wie funktioniert das?

Zawichowski: Das funktioniert sehr einfach, nämlich über die gewohnten Buchungsplattformen. MühlFerdl-KundInnen loggen sich beispielsweise über die MühlFerdl-Plattform ein, um dort dann ein fahrvergnügen.at-Auto zu reservieren. Sie müssen sich also nicht extra bei fahrvergnügen.at anmelden – die Abrechnung zwischen den verschiedenen Anbietern erfolgt dann im Hintergrund.

Wolbring: Bisher war die Bezahlung nur via Einzugsermächtigung möglich, bald funktioniert das auch mit Debit- oder Kreditkarte.

 

Nun können E-Autos in Oberösterreich, Niederösterreich, Kärnten, der Steiermark und in Salzburg gebucht werden – warum nicht auch in Tirol, Vorarlberg und im Burgenland?

Zawichowski: In Tirol und Vorarlberg – aber nicht nur dort – gibt es umtriebige E-Carsharing-Betreiber, die mit uns kooperieren wollen. Wir sind gerade dabei, beim Klima- und Energiefonds ein Leitprojekt einzureichen, um auch andere Softwareprodukte über die nötigen Schnittstellen einbinden zu können. Wenn alles klappt, kann carsharing Österreich bis Ende 2021 sein Angebot auf 200 Standorte mehr als verdoppeln.

 

Welche Voraussetzungen müssen potenzielle weitere Anbieter mitbringen?

Wolbring: carsharing Österreich steht allen ernsthaften carsharing-Anbietern, die einen eigenen Fuhrpark betreiben, offen.

 

Was verstehen Sie unter ernsthaft?

Wolbring: Alle Anbieter, die ihre Fahrzeuge nicht bloß hin und wieder an andere Personen ausleihen.

 

Wurde das neue Angebot in den ersten sechs Wochen bereits genutzt?

Zawichowski: Ja.

 

Was sind die weiteren Pläne von carsharing Österreich?

Zawichowski: Wir möchten, dass E-Carsharing in Österreich stärker wahrgenommen und als Chance betrachtet wird, auf das eigene Auto komplett zu verzichten – sei es im Urlaub oder auf Geschäftsreisen. Dazu möchten wir schon bald erste attraktive intermodale Mobilitätsangebote ins Leben rufen. Es muss einfacher werden, beispielsweise mit der U-Bahn oder dem Regionalbus zum Bahnhof zu fahren, am Zielbahnhof vom Taxi oder Shuttlebus abgeholt und ins Hotel gebracht zu werden und sich am Urlaubsort für Tagesausflüge ein E-Auto auszuborgen.

Daher werden wir beziehungsweise unsere LandesvertreterInnen in den nächsten Monaten intensive Gespräche mit den Verkehrsverbünden und anderen Mobilitätsanbietern führen, um mögliche künftige Kooperationen auszuloten. Erste Gespräche stimmen mich hoffnungsfroh.

 

Fürchten Sie nicht, dass E-Carsharing von den anderen Mobilitätsanbietern als unliebsame Konkurrenz betrachtet wird?

Zawichowski: Nein, im Gegenteil. Einige von ihnen sind sogar schon aktiv auf uns zugekommen. So haben wir bereits sehr ausführliche und konstruktive Gespräche mit großen Mobilitätsanbietern geführt. Der öffentliche Verkehr tut sich schwer damit, die Nebenstrecken zu bedienen – und hier könnte das E-Carsharing ein attraktives Zusatzangebot darstellen, das letztlich auch den anderen Mobilitätsanbietern neue KundInnen beschert.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre weiteren Aktivitäten!

 

* Die Gründungsmitglieder von carsharing Österreich sind fahrvergügen.at, LISA, ÖKI Wolkersdorf, TRE Thayaland, Traun4tler Alpenvorland, EverGreen, FAMILY OF POWER, leader-region donau-böhmerwald, EBF – Energiebezirk Freistadt, urfahr west mobil und MühlFerdl. Inzwischen stießen auch das E-Gans-Mobil (Gänserndorf) und die Energieregion Gröbming GmbH dazu.