KEM-Projekt des Jahres: Paris–Vorderwald

2 Projekt des Jahres 2020

Ja, geht denn das? Das war die zündende Frage, die Monika Forster erst sich selbst und dann 14 Familien aus dem Vorderwald stellte. Sind die Parisziele schon jetzt im eigenen Haushalt erreichbar? Die Familien probierten einen Monat lang aus, ihr persönliches CO2-Budget auf das klimaverträgliche Maß herunter zu schrauben. Die Ergebnisse waren höchst interessant – und das KEM-Projekt des Jahres 2020 findet nun Nachahmung in vier weiteren Klima- und Energie-Modellregionen.

Vier Wochen lang ausprobieren, was die Weltpolitik in Paris beschlossen hat, lautete das Motto. Monika Forster und ihr Projekt-Partner Martin Strele legten sich ins Zeug, den 64 Personen in 14 Familien bestmögliche Unterstützung durch Know-how-Vermittlung, durch die Bereitstellung von E-Bike und E-Auto, Gemüsekisten, Sanierungsberatung, energieeffizienten Leuchtmitteln etc. zu bieten. Denn klar war von Anfang an: Das Ziel wird nicht leicht zu erreichen sein.

Um die Treibhausgasemissionen der Haushalte zu messen, wurde eine App mit dem Motto „Ein guter Tag hat 100 Punkte“ entwickelt und verwendet (www.eingutertag.org, kostenfrei für Android und iOS verfügbar). Die 100 Punkte repräsentieren das Treibhausgasbudget, das jedem Menschen nach den Pariser Klimazielen pro Tag zusteht.

Was das Projekt besonders auszeichnet, ist seine Vielschichtigkeit auf mehreren Ebenen:

Die persönliche Ebene. Sich die persönliche Frage zu stellen, wie sich das eigene Verhalten auf das Klima auswirkt, ist eine komplexe Angelegenheit. Bin ich beim Wohnen, Einkaufen, Essen, in der Alltagsmobilität und beim Reisen klimafreundlich? Wo hinterlasse ich einen riesigen ökologischen Fußabdruck? Was ließe sich anders machen? Kurz, die Teilnahme am Projekt erforderte ein hohes Maß an Selbstreflexion – und diese ist die Basis für Veränderung.

Mädchen begannen Kleidung zu tauschen, statt neue zu kaufen, und auch die Nähmaschinen ratterten. Das E-Bike und E-Auto waren für viele TeilnehmerInnen eine spannende Erfahrung. Manche Familien beschlossen, wieder mehr mit regionalen Produkten und mit weniger Fleisch zu kochen. Andere verzichteten auf die geplante Flugreise in den Urlaub. Und Verzicht entpuppte sich mitunter als persönlicher Gewinn.

Der Multiplikatoreffekt im Dorf. Ein so außergewöhnliches Projekt bleibt auch den Verwandten, dem Freundeskreis und den NachbarInnen nicht verborgen. Schließlich will man sich austauschen, wenn man sich gerade mit so vielen Fragen beschäftigt. Plötzlich wurde im Ort über Energie- und Ressourcenverbrauch gesprochen. Ob man sich vielleicht  eine Photovoltaikanlage zulegen sollte oder eine Kleidertausch-Party organisieren? Wie toll das E-Bike-Fahren oder das Gehen durch Wald war. Und wie macht eigentlich ihr das?

Die gute Öffentlichkeitsarbeit. Von Anfang an war eine intensive begleitende Öffentlichkeitsarbeit beabsichtigt, um die Erfahrungen der Haushalte zu teilen. Dass sich der ORF für das Projekt begeistern ließ, multiplizierte die individuellen Erlebnisse beim Klimaexperiment um ein Vielfaches. Das Ergebnis waren fünf Beiträge in „Vorarlberg heute“, drei Radiobeiträge auf ORF Vorarlberg sowie je ein österreichweit ausgestrahlter Beitrag im ORF-Wirtschaftsmagazin ECO und im Rahmen des ORF-Klimatags am 12. November 2019. Dazu kamen zahlreiche Artikel in Print- und Online-Medien. Alle audiovisuellen Beiträge und alle Informationen zu Paris-Vorderwald sind online abrufbar. In KEM IMPACT – PR-Handbuch für KEM-ManagerInnen fasst Forster selbst zusammen, welche Schritte nötig waren und was zum Erfolg beigetragen hat.

Der Aha-Effekt. Die Erfahrungen der teilnehmenden Familien zeigten, dass selbst 20 Kilometer Busfahrt in die Schule mit dem dieselbetriebenen Landbus das persönliche CO2-Budget schwer belasten. Nur einzelne Familien erreichten das Ziel. Dass man Kinder nicht mit dem Fahrrad auf gefährliche Straßen schickt, war schon zuvor bekannt. Aber plötzlich wurde dieses Problem der Bevölkerung, aber auch der Politik schmerzlich bewusst. Und die TeilnehmerInnen erkannten, dass es ohne mutige politische Maßnahmen für viele Menschen nicht möglich sein wird, die in Paris formulierten Ziele zu erreichen.

Die politische Komponente. Bei der Abschlussveranstaltung am 12. November 2019 im ORF-Landesstudio mit LandespolitikerInnen und dem Ökonomen Niko Paech war der Saal bis zum letzten Sitzplatz gefüllt. Die Projekt-TeilnehmerInnen formulierten ihre ambitionierten Forderungen an die Bundes- und Landespolitik: eine aufkommensneutrale CO2-Steuer, Besteuerung von internationalen Konzernen und Flugbenzin, den Ausbau der Radwege im Vorderwald, eine bessere Klimabilanz für den öffentlichen Verkehr und vieles mehr. „Die anwesenden PolitikerInnen haben zumindest nicht widersprochen“, schmunzelt die KEM-Managerin und wünscht sich mehr Tempo beim Klimaschutz.

Die Multiplizierbarkeit in anderen Regionen. Auf das abgeschlossene Projekt Paris–Vorderwald werden weitere folgen. In den KEMs Vöckla-Ager, Baden und Großes Walsertal sowie in der Region Am Kumma laufen die Vorbereitungen. Monika Forster und  Martin Strele unterstützen die Regionen.

 

„Herzliche Gratulation an die neue KEM-Managerin des Jahres und zu ihrem KEM-Projekt des Jahres“, wünscht Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds. „Monika Forster agiert äußert professionell und kreativ. Paris–Vorderwald ist wahrscheinlich das beste Beispiel dafür und zeigt anschaulich, wie das Bottom-up-Prinzip der Klima- und Energie-Modellregionen funktioniert. Das Projekt ist gleichzeitig ein Signal an die Bevölkerung, sich mit dem Klimaschutz auf persönlicher Ebene auseinanderzusetzen und ein Signal an die Politik, mutige Schritte zu setzen. Chapeau!“