Kommunalwirtschaftsforum 2022: Gemeinden als Motor der Energiewende

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Der Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds, Ingmar Höbarth, gab in seiner Keynote zu bedenken, dass Österreich durch die alpine Struktur mit zwei Grad Celsius stärker als der globale Durchschnitt (1,1 Grad) vom Temperaturanstieg betroffen ist. Zudem sind die Folgen des Klimawandels regional völlig unterschiedlich. Aktuell herrscht Trockenheit im Osten und Süden Österreichs.

„Das Beängstigende ist, dass wir nicht wissen, was als Nächstes auf uns zukommt. Ein neuerliches Hochwasser oder vielleicht in Kürze ein Spätfrost“, sagt Höbarth. Was viele zudem nicht wüssten: „Die CO2-Mengen, die wir heute ausstoßen, bleiben hunderte Jahre persistent. Das heutige CO2 produzieren wir somit eigentlich für unsere Enkelkinder.“ Das berühmte 1,5-Grad-Ziel von Paris müsse erreicht werden, sonst könnte sich die Erde um fast fünf Grad erhitzen. „Je später wir mit Maßnahmen anfangen, desto stärker müssen die Emissionen fallen und desto heftiger und einschneidender werden die Maßnahmen“, warnte Höbarth.

Ambitionierte Klimaziele. Bei der Klimakonferenz in Paris hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu limitieren. In Europa hat man minus 55 Prozent Treibhausgase bis 2030 zum Ziel, in Österreich 100 Prozent erneuerbaren Strom bis 2030 und Klimaneutralität bis 2040. Mit diesen Zielen habe man die lange geforderten Rahmenbedingungen für die Politik geschaffen, die für Investitionssicherheit und Planung wichtig sind.

„Jetzt geht es an die harte Realität. Das betrifft den Verkehr, die Industrie, Gebäude, die Landwirtschaft und die Abfallwirtschaft. Wirtschaftliche Interessen  sind mit den Klimazielen unter einen Hut zu bringen. Es müssen praktisch alle ihren Beitrag leisten, wobei der Verkehr sicherlich das Hauptproblem ist, da wir den noch nicht wirklich in den Griff bekommen haben“, konstatiert Höbarth.

Zwei Milliarden Euro Schaden jährlich. „Viele werden in den Gemeinden von den Klimaschäden in unterschiedlicher Ausformung unmittelbar betroffen sein: Hochwasser, Brände, Hagelkörner groß wie Eier, Trockenheit oder Stürme. Das sind alles Anomalien. Man muss immer unterschieden – Wetterausreißer hat es immer schon gegeben. Aber es ist wissenschaftlich erwiesen, dass deren Häufung auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen ist“, sagt Höbarth.

 „Wir haben uns angeschaut, was das die österreichische Volkswirtschaft kostet. Die Klimaschäden, die man heute ausweisen kann, betragen bereits zwei Milliarden Euro pro Jahr. Das Problem dabei ist, dass man nicht so viel in Geldwerten ausweisen kann, wie es Schäden gibt.“ Die Folgeschäden seien besonders schlagend in den Bereichen Gesundheit – vor allem durch das städtisches Problem der Überhitzung –, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft. „Es sind alle Bereiche bis hin zur Biodiversität in unterschiedlicher Ausprägung betroffen, Tendenz steigend. Je früher wir Maßnahmen setzen, desto billiger und desto sozial verträglicher und gesünder wird es.“

Anpassen. In Paris wurden zwei Säulen gleichwertig beschlossen, der Klimaschutz (Mitigation) und die  Klimawandelanpassung (Adaption). „Uns war schon, bevor die Folgeschäden in Österreich evident geworden sind, klar, dass wir uns an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels anpassen müssen. Wir haben keine andere Chance. Wir können unsere Volkswirtschaft, unseren Tourismus, unsere Land- und Forstwirtschaft und letztendlich unseren Wohlstand nicht in der bisherigen Art und Weise aufrechterhalten, wenn wir uns nicht rechtzeitig anpassen“, stellt Höbarth klar. Auch hier gelte, dass je früher Anpassungsmaßnahmen vorgenommen würden und Entscheidungen getroffen würden, es umso günstiger werden würde. Auch könne man so die Bevölkerung besser mitnehmen.

Gemeinden sind gefragt. Die Gemeinden seien als Entscheidungsträger gefragt. Entsprechend der zwei Säulen habe man auch zwei Modelle. Die Klima- und Energie-Modellregionen (KEM) einerseits und andererseits das Programm KLAR!, das die Klimawandelanpassungsregionen abbildet, die die Gemeinden unterstützen, um die Schäden überhaupt zu definieren und entsprechende Maßnahmen zu treffen.

Das seien aber nicht die einzigen Programme erklärt Höbarth: „Es gibt mittlerweile ein vielfältiges Angebot. Es gibt LEADER, es gibt das Klimabündnis, und es gibt ‚e5‘. Wir schauen, dass wir mit allen möglichst in Synergie zusammenarbeiten, denn es gibt derartig viel zu tun, dass man die Kräfte einfach bündeln muss.“

Die Klima- und Energie-Modellregionen sind ein Programm, das unglaublich viel Dynamik aufweist. Es gibt mittlerweile über 120 KEMs. „Darunter sind jetzt auch drei Schwerpunktregionen: Das steirische Vulkanland mit dem Schwerpunkt Bioökonomie sowie nachhaltiger Tourismus in Zell am See/Kaprun und in der Karnischen Region“, freut sich Höbarth. Das Bundesgebiet sei nicht schlecht abgedeckt.

Insgesamt 1.040 Gemeinden mit insgesamt 3,1 Mio. Einwohnern sind in den KEMs aktiv. Dazu kommen 74 Klimawandelanpassungsmodellregionen. „Wir bekommen jedes Jahr etliche KEM-Regionen dazu, aber bei den KLAR!-Regionen ist der Zuwachs noch viel stärker, weil die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Antworten auf die Frage suchen, wie sie mit den Folgeschäden umgehen sollen. Dafür bietet unser Programm wirklich die entsprechende Unterstützung“, stellt Höbarth klar.

Erfolgsfaktoren der KEM-Regionen. Wie sieht es mit dem Treibhausgasausstoß in den Modellregionen aus? Eine Untersuchung ergab: Privathaushalte und Konsum sind für fast 50 Prozent verantwortlich, Gewerbe und Industrie für 31 Prozent und die Land- und Forstwirtschaft für 21 Prozent. Jede KEM-Region muss darauf achten, wie ihre Ausgangssituation aussieht, denn die Idee hinter den KEMs ist, regionale Lösungsmodelle auszuarbeiten und umzusetzen.

Der Klima- und Energiefonds und die Gemeinden finanzieren die KEMs. „Das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Die Energiewende findet vor Ort in unterschiedlichsten Ausformungen und Projekten statt – von Mobilität über Biomasse bis zur Erzeugung von erneuerbaren Energien. Das Besondere ist, dass durch die Kommunikation und die kurzen Wege in der Gemeinde und in den Regionen die Bevölkerung mitbekommt, was passiert. Das wird in den Gemeindemedien kommuniziert. Da geht es auch um Bewusstseinsbildung. Das funktioniert sehr gut. Es gibt zahlreiche Bürgerbeteiligungen. Es gibt genug Kapital, das zur Verfügung steht, und die Leute machen gerne mit, zum Beispiel auch beim E-Car-Sharing“, erklärt Höbarth. Mittlerweile gibt es über 6.000 Klimaschutzprojekte, die vor Ort wirken. 

Der Sinn der Modellregionen. Der Nutzen besteht laut Höbarth in der steigenden Unabhängigkeit von Energieimporten und der Versorgungssicherheit. Die Wertschöpfung bleibe in der Region. Arbeitsplätze werden geschaffen und der Kaufkraftabfluss verringert, während das Bewusstsein der Bevölkerung gesteigert wird. Zudem gebe es einen Multiplikator-Effekt durch erfolgreiche Modelle und deren Vorbildfunktion.

Beim Klima- und Energiefonds sieht man die Gemeinden „in dieser Arbeit wirklich als Schlüssel. Sie haben auch Vorbildfunktion. Die Gemeinden sind ganz nahe an den Bürgerinnen und Bürgern und für uns ein ganz wichtiger Hebel für die Umsetzung der Klimaziele“, bekennt Höbarth, als er über  die Energiegemeinschaften spricht. „Früher war immer alles abstrakt, wenn man von der Klimakrise gesprochen hat. Bei den Energiegemeinschaften ist jeder Bürger und jede Bürgerin konkret involviert. Zudem haben sie einen sozialen Aspekt. Man bildet Gemeinschaften und hat einen Austausch. Es können Gemeinden genauso mitmachen wie Unternehmen und die Bevölkerung, sei es Photovoltaik, Solarthermie, Biomasse oder sonstigem – als Produzent:innen, Prosumer:innen oder Verbraucher:innen.“

Handlungsvorschläge. Was können die Gemeinden jetzt für die Energiewende und ein Ende der Abhängigkeit tun? Höbarth schlägt vor: „Die Gemeinderäte könnten beschließen, dass das Gasnetz nicht weiter ausgebaut wird. Oder dass ein sukzessiver Rückbau der Gasversorgung in öffentlichen Gebäuden eingeleitet wird. Oder dass der Ausstieg der Gemeindegebäude aus Öl bis 2024 erfolgt. Oder dass eine Verpflichtung zu Photovoltaik und Solarthermie im Neubau erfolgen soll.“ Ansätze gebe es genügend. Ein Musterbeispiel dafür ist die Gemeinde Hartberg, die bereits im Jahr 2015 ein Gas-Ausbauverbot auf öffentlichem Grund ausgesprochen hat.